Montag, 4. Mai 2015

domingo savio


domingo savio ist sowas wie meine zweite geburtsstaette. in dem ehemaligen kinderheim und heutigem freizeitzentrum fuer heranwachsende lebte ich 2004/2005 zum ersten mal ausserhalb meines elternhauses. hier lernte ich chile kennen und die spanische sprache, soziale arbeit in seiner reinform und einen kontrast zur deutschen realitaet. hier begegnete ich dem ernst des lebens und dem glueck des lebens. hier fand ich mich. und fernanda.
nun kehrten wir zurueck und besuchten die einrichtung. mein altes schlafzimmer, das ich damals mit einem heimkind teilte, dient mittlerweile als saal fuer arbeitsgemeinschaften. nebenan befindet sich ein computerraum, an deren wand ein paar gitarren fuer den musikkurs haengen. auf der anderen seite des hauses wurde eine kleine buecherei eingerichtet. und draussen, neben dem neuen grossen trampolin, befindet sich jetzt eine tolle theateraula. 




viel hat sich veraendert. als wir eintraten, backte eine gruppe kinder gerade kuchen, eine zweite bastelte konzentriert mit der direktorin olga, die dritte tobte auf dem hof bei lauter musik. viel heiterkeit, elan und harmonie lag in der luft. das war und ist nicht immer so.



in den lebenslaeufen der ehemaligen besucher spiegelt sich die realitaet dieser kommune „la granja“ in der peripherie der hauptstadt wider. sie steht sinnbildlich fuer so viele urbane orte dieses landes. ein grossteil der uns bekannten kinder von damals haben nun sehr frueh eigenen nachwuchs bekommen. vielleicht auch zu frueh. die meisten beendeten die schule erfolgreich, leben weiter bei den eltern. wenige begannen mit dem studium. ein paar haben wiederum alles hingeschmissen, stipendien verprasst und stehen vor einem scherbenhaufen. manch einer wurde kriminell. andere sind frisch verheiratet. die arbeit mit den betroffenen ist weiss gott nicht nur von erfolg gekroent. weil biografien nicht auf dem reissbrett entstehen. doch traegt die einrichtung dazu bei, dass die besucher unter besseren voraussetzungen gross werden koennen. sie zeigt den kindern und jugendlichen einen guten weg auf. wer ihn dann geht, steht auf einem anderen blatt.

 
seit mittlerweile 35 jahren widmet sich die nicht-regierungs-organisation den benachteiligten kindern des viertels und ihrer familien. es ist ein ewiger kampf. ein kampf gegen den sog der armut, den effekt von bildungsfernen lebensumstaenden, den impuls der verrohung und der dynamik von aggressivitaet und kriminalisierung. und es ist ein steter kampf ums finanzielle ueberleben. domingo savio erhaelt keine staatlichen gelder. und auch im ringen um spenden zieht die einrichtung gegenueber ihren mitkonkurrenten haeufig den kuerzeren. weil sie sich nicht den aermsten der armen widmet. oder, wie olga so bildhaft sagt, den kindern hier nicht der rotz unter der nase klebt. wohltaeter wollen ihr geld eben meist dort sehen, wo es wirklich am allerdringlichsten ist. verstaendlich. und mitunter doch problematisch fuer institutionen wie domingo savio, deren adressaten bereits mit einem bein der armut entkommen sind und dennoch unterstuetzung brauchen. sie sind nicht ausreichend selbststaendig. aber auch nicht arm genug.
viele unter euch lesern haben domingo savio finanziell unterstuetzt, sei es bei aktionen auf parties und geburtstagsfeiern, meinem buch-projekt, mit einkuenften aus dem gluecksspiel oder der wohnungsaufloesung, in form der hochzeits-kollekte oder bei unserem famosen abschiedsbasar. und einige von euch helfen der einrichtung nun schon seit bis zu zehn jahren konstant. vielen dank dafuer. ich sag euch: es ist es wert!

uebrigens: diejenigen unter euch, die bereits meine ersten schritte in chile verfolgt haben, moegen sich wohlmoeglich erinnern, dass ich damals eine kleine fussballliga zwischen den von freiwilligendienstlern unterstuetzten einrichtungen ins rollen brachte. die spiele der kinder verliefen hitzig, es wurde geschrien, gespuckt und getreten, auch gefeiert. auswaertspartien waren in der hauptstadt kleine reisen. und die teilnahme am spiel wurde zum paedagogischen druckmittel. vor einigen tagen nun folgte ich der einladung zur „liga de deporte“. denn der ball rollt immer noch! nur nicht immer der fussball. ueber die jahre hat sich eine monatlich stattfindende sportgemeinschaft etabliert. man lernt gemeinsam neue sportarten kennen, isst ritualhaft gesund und reflektiert in einer abschiedsrunde die gruende, warum die welt ist wie sie ist und wie sie besser werden kann. alles ohne institutionspatriotismus, siegesmentalitaet und kampf als hoechstes gut. 


es war wundervoll zu sehen, wie friedvoll die jungen sportler ihre teilnahme genossen. wie paedagogisch durchdachte konzepte greifen. und wie bei all der misere, die die benachteiligten, elternlosen oder frueh schwangeren kinder und jugendlichen hinter sich haben, das leben schoen sein kann. zumindest fuer einen moment.  

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