domingo savio ist sowas wie meine zweite geburtsstaette. in dem ehemaligen kinderheim und heutigem freizeitzentrum fuer heranwachsende lebte ich 2004/2005 zum ersten mal ausserhalb meines elternhauses. hier lernte ich chile kennen und die spanische sprache, soziale arbeit in seiner reinform und einen kontrast zur deutschen realitaet. hier begegnete ich dem ernst des lebens und dem glueck des lebens. hier fand ich mich. und fernanda.
nun kehrten wir zurueck und besuchten die einrichtung. mein
altes schlafzimmer, das ich damals mit einem heimkind teilte, dient
mittlerweile als saal fuer arbeitsgemeinschaften. nebenan befindet sich ein
computerraum, an deren wand ein paar gitarren fuer den musikkurs haengen. auf
der anderen seite des hauses wurde eine kleine buecherei eingerichtet. und
draussen, neben dem neuen grossen trampolin, befindet sich jetzt eine tolle
theateraula.
viel hat sich veraendert. als wir eintraten, backte eine gruppe
kinder gerade kuchen, eine zweite bastelte konzentriert mit der direktorin
olga, die dritte tobte auf dem hof bei lauter musik. viel heiterkeit, elan und
harmonie lag in der luft. das war und ist nicht immer so.
in den lebenslaeufen der ehemaligen besucher spiegelt sich
die realitaet dieser kommune „la granja“ in der peripherie der hauptstadt
wider. sie steht sinnbildlich fuer so viele urbane orte dieses landes. ein
grossteil der uns bekannten kinder von damals haben nun sehr frueh eigenen
nachwuchs bekommen. vielleicht auch zu frueh. die meisten beendeten die schule
erfolgreich, leben weiter bei den eltern. wenige begannen mit dem studium. ein
paar haben wiederum alles hingeschmissen, stipendien verprasst und stehen vor
einem scherbenhaufen. manch einer wurde kriminell. andere sind frisch
verheiratet. die arbeit mit den betroffenen ist weiss gott nicht nur von erfolg
gekroent. weil biografien nicht auf dem reissbrett entstehen. doch traegt die
einrichtung dazu bei, dass die besucher unter besseren voraussetzungen gross werden
koennen. sie zeigt den kindern und jugendlichen einen guten weg auf. wer ihn
dann geht, steht auf einem anderen blatt.
seit mittlerweile 35 jahren widmet sich die
nicht-regierungs-organisation den benachteiligten kindern des viertels und
ihrer familien. es ist ein ewiger kampf. ein kampf gegen den sog der armut, den
effekt von bildungsfernen lebensumstaenden, den impuls der verrohung und der
dynamik von aggressivitaet und kriminalisierung. und es ist ein steter kampf
ums finanzielle ueberleben. domingo savio erhaelt keine staatlichen gelder. und
auch im ringen um spenden zieht die einrichtung gegenueber ihren
mitkonkurrenten haeufig den kuerzeren. weil sie sich nicht den aermsten der
armen widmet. oder, wie olga so bildhaft sagt, den kindern hier nicht der rotz unter der nase klebt. wohltaeter wollen ihr geld eben meist dort sehen, wo es
wirklich am allerdringlichsten ist. verstaendlich. und mitunter doch problematisch
fuer institutionen wie domingo savio, deren adressaten bereits mit einem bein
der armut entkommen sind und dennoch unterstuetzung brauchen. sie sind nicht
ausreichend selbststaendig. aber auch nicht arm genug.
viele unter euch lesern haben domingo savio finanziell
unterstuetzt, sei es bei aktionen auf parties und geburtstagsfeiern, meinem buch-projekt,
mit einkuenften aus dem gluecksspiel oder der wohnungsaufloesung, in form der
hochzeits-kollekte oder bei unserem famosen abschiedsbasar. und einige von euch
helfen der einrichtung nun schon seit bis zu zehn jahren konstant. vielen dank
dafuer. ich sag euch: es ist es wert!
uebrigens: diejenigen unter euch, die bereits meine ersten
schritte in chile verfolgt haben, moegen sich wohlmoeglich erinnern, dass ich
damals eine kleine fussballliga zwischen den von freiwilligendienstlern
unterstuetzten einrichtungen ins rollen brachte. die spiele der kinder
verliefen hitzig, es wurde geschrien, gespuckt und getreten, auch gefeiert.
auswaertspartien waren in der hauptstadt kleine reisen. und die teilnahme am
spiel wurde zum paedagogischen druckmittel. vor einigen tagen nun folgte ich
der einladung zur „liga de deporte“. denn der ball rollt immer noch! nur nicht
immer der fussball. ueber die jahre hat sich eine monatlich stattfindende
sportgemeinschaft etabliert. man lernt gemeinsam neue sportarten kennen, isst
ritualhaft gesund und reflektiert in einer abschiedsrunde die gruende, warum
die welt ist wie sie ist und wie sie besser werden kann. alles ohne
institutionspatriotismus, siegesmentalitaet und kampf als hoechstes gut.
es war
wundervoll zu sehen, wie friedvoll die jungen sportler ihre teilnahme genossen.
wie paedagogisch durchdachte konzepte greifen. und wie bei all der misere, die
die benachteiligten, elternlosen oder frueh schwangeren kinder und jugendlichen
hinter sich haben, das leben schoen sein kann. zumindest fuer einen moment.
TOLLE BERICHTERSTATTUNG UND DARSTELLUNG
AntwortenLöschenGruß JFB