Dienstag, 27. Oktober 2015

utopie und wirklichkeit (2/2)



… also doch der zeltplatz? nicht ganz. aber wir widmen uns dem tourismussektor. seit august konzipieren wir eine vermittlungsagentur von ferienunterkuenften in zentralchile fuer auslaendische urlauber. die urspruengliche idee ist dabei eine recht soziale. vor vielen monaten liefen wir ueber unseren huegel playa ancha. das ambiente ist wundervoll, das panorama auf die malerische bucht ergreifend, die haeusser sind farbenfroh, die menschen freundlich. doch touristen findet man in diesen strassen nicht. dafuer ist es hier scheinbar zu einfach, zu attraktionslos, vielleicht auch etwas zu aermlich. huegel wie diese kommen in den reisefuehrern nicht vor. doch wir haben das gefuehl, dass viele urlauber gerne in diese welt eintauchen wuerden. weil es spannend ist, schoen und teil der realitaet. und dass viele der mittellosen anwohner gerne ein zimmer frei machen wuerden, um einen fremden zu begruessen und einen kleinen nebenverdienst zu haben. 



warum verbinden wir die interessen nicht miteinander? authentisches reisen fuer die einen, neue einkommensquellen fuer die anderen. genau das machen wir nun. nicht nur, denn wahrscheinlich ist die nachfrage fuer einen so speziellen tourismus nicht gross genug. aber es ist teil unseres unternehmens. und abgesehen von diesem randprojekt konzentrieren wir uns auf paare und familien, die individuell und naturnah zentralchile bereisen moechten und unterkuenfte in laendlichen ferienhaeusern suchen.
unsere internetseite www.chile-central.com nimmt mehr und mehr konturen an. wir sind bereits steuerpflichtig, erhalten diese woche hoffentlich unser geschaeftspatent und werden bei der nationalen tourismusbehoerde registriert. es nimmt zeit in anspruch und wird uns noch lange nicht ueber wasser halten koennen. aber mit beginn unserer selbststaendigkeit sind uns doch schwere steine vom herzen gefallen. weil wir ueberzeugt sind, dass diese region unfassbar attraktiv ist, zugleich vielerorts noch unentdeckt und mit grossem potential fuer den tourismus. und dass es das warten auf bessere zeiten nicht wert ist…

eine kleine unterbrechung erfuhr die organisation nun mit dem hohen besuch aus deutschland. unser herzensfreund niels und seine frau katharina beehrten uns zwei wochen, wunderschoene wochen. 




und sie durften auch gleich zeugen eines ganz besonderen ereignisses werden: familie gómez bekam nachwuchs! fernanda hat nun quasi eine vierte schwester. es ist ein pferd! kein scherz. einer der groessten traeume meines schwiegervaters geht damit wohl in erfuellung. aber um euch die illusionen zu nehmen, natuerlich reitet fernando jetzt nicht mit dem pferd durch die breiten strassen santiagos zur arbeit. das gute tier geniesst vielmehr die frische landluft auf dem feriengrundstueck meiner schwiegereltern und wartet dort auf uns. und auch das ist kein scherz: die stute heisst madonna :). 


Montag, 19. Oktober 2015

utopie und wirklichkeit (1/2)




wir sassen im sand auf den hohen duenen von wilderness, blickten auf den rauen indischen ozean und fragten uns, wie es weiter gehen soll. ich war fertig mit dem studium, fernanda fast. gerade, 2009, machten wir einen freiwilligendienst in suedafrika. und was wuerde jetzt kommen? deutschland hatte uns bereits viele jahre gemeinsam beheimatet und wir fuehlten uns wohl in muenster. aber fernanda war weit weg von ihrer familie. und wir vermissten dort das spektakel, die natur, das meer, die berge. wir hatten sehnsucht nach chile.
aber ein leben in chile, das ist nicht ohne, ausser man findet arbeit in der wirtschaft oder hat geerbt. wenn wir das also ernst meinten, muessten wir uns ganz eigene verdienstwege erschliessen, um uns nicht mit dem existenzminimum arrangieren zu muessen. und dann kam uns die idee: neben der sozialen arbeit wuerden wir einen zeltplatz eroeffnen. vor den fuessen des pazifiks, unter der warmen sonne, mit entspannten reiseverliebten.

wenige monate spaeter kehrten wir von suedafrika nach deutschland zurueck. wir begannen zu arbeiten, zu sparen, zu rechnen, zu planen. und je konkreter unsere gedanken wurden, desto ferner rueckte das bild des zeltplatzes in unseren koepfen. die sparplaene erschienen uns bald utopisch, unsere ziele stiegen, die zeit verging. und auch die idee selber ueberzeugte uns bald nicht mehr. es erschien uns zu teuer, zu sprunghaft, zu aufreibend, zu ertraglos. aber bei dem kernvorhaben blieb es: wir packten die rucksaecke und zogen nach chile.

mittlerweile ist valparaíso bald schon ein dreivierteljahr unsere neue heimat. und wir fuehlen uns pudelwohl in der stadt, in unserem umfeld, in dieser wilden kulisse. doch ein altes thema beschaeftigt uns nach wie vor: wie finanzieren wir uns? die arbeitssuche verlief aeusserst schwergaengig und raubte uns den letzten nerv. die segel streichen wollen wir deswegen noch lange nicht. aber wir sind auch nicht gut im warten. wir beschlossen, die dinge in die eigenen haende zu nehmen.
also doch der zeltplatz?...

Freitag, 2. Oktober 2015

ueber grenzen (2/2)



... migration ist in chile von keiner tragenden bedeutung und die aufnahme von fluechtlingen ein absolutes randphaenomen. im zuge meines arbeitssuche wandte ich mich vor einigen monaten an incami, der chilenischen zentrale fuer migrationsangelegenheiten. beim informellen bewerbungsgespraech ihres sitzes in valparaíso, also im hinterzimmer einer kirche, erlaeuterte mir der pfarrer, worin die arbeit der einrichtung besteht. in erster linie widmet man sich den angelegenheiten der wirtschaftsmigranten. sie kommen aus bolivien, peru oder den karibischen staaten, gerade aber ganz besonders aus spanien. ueberdies betreut man eine ueberschaubare zahl an fluechtlingen, die aus palaestina, ecuador, dem kongo und zum allergroessten teil aus kolumbien vor not und buergerkrieg migrierten. doch die weiteren hilfeempfaenger der einrichtung ueberraschten mich etwas: indigene binnenmigranten, die durch enteignungen neuen boden unter den fuessen suchen. deutsche oder franzoesische touristen, die mit der ankunft ausgeraubt worden und jetzt erstmal eine notunterkunft brauchen. oder indonesische matrosen, die entnervt am hafen valparaísos ihr schiff verliessen, weil sie seit monaten vergeblich ihr gehalt einforderten. um dieses bunte feld an menschen kuemmert sich incami. spannend, dachte ich, und haette am liebsten sofort einen vertrag unterschrieben und die aermel hochgekrempelt. doch arbeitet die institution, wie so unglaublich viele soziale einrichtungen hier, ausschliesslich mit freiwilligen. so war auch deren antwort: klar, du kannst gerne bei uns anfangen. als ehrenamtler.

mich liessen die erfahrungen der muehevollen jobsuche meine letzten haare raufen. es strengte ungemein an, ewig und oft vergeblich auf antworten zu warten. und erhielt ich eine rueckmeldung, bewarb man sich nicht selten eher um mich, also um meine freiwilligendienste oder finanzielle unterstuetzung. in anbetracht des grossen bedarfs und der so begrenzten mittel geht die soziale arbeit in chile am stock und pflegt ein armseliges dasein.
nach einem halben jahr intensiver, grossflaechiger und kompromissbereiter arbeitssuche lief das fass nun endgueltig ueber. doch vielleicht brauchte es diese erfahrung, um unsere langjaehrigen gedankenspiele zu einer standhaften entscheidung zu bringen: wir machen uns selbststaendig. und irgendwie dreht es sich sogar um migration - im unterhaltungsorientierten, kurzfristigen sinne. unser vor wenigen wochen gestartetes tourismusprojekt traegt den namen „chile central“. doch wohin die reise geht, ist in einem anderen moment zu erfahren.