nur etwa 130 kilometer von valparaíso entfernt, zeigt sich santiago
ungemein wuseliger, maechtiger, schmutziger, kraefteraubender, hitziger, im sommer
um die zehn grad waermer, auch viel voller. allein unser viertel hier, la
florida, hat mehr einwohner als ganz valparaíso. es ist ein endloses
haeusermeer. hier schlaegt das herz der nation. und es schlaegt laut.
aber obwohl die menschen nun so nah am geschehen sind, viele unter ihnen auch ihr
traditionelles leben auf dem land oder in der kleinstadt im sinne der arbeit
und des geldes aufgegeben haben, muessen sie dennoch taeglich ewige reisen auf
sich nehmen. die entfernungen sind immer
riesig. und die fahrten unbequem. staendig laeuft man hier, steht, wartet.
zusammengepresst in der metro, an der kasse, in der behoerde.
ich habe grosse sympathien fuer santiago, verbinde mit diesem
ort wundervolle erinnerungen an meine erste zeit in chile vor zehn jahren und
liebe die ausblicke auf die berge und ueber die metropole im morgengrauen oder
bei sonnenuntergang.
doch ringt die stadt nicht gerade um eine freundschaft zu
ihr. waehrend fernanda hier eine kleine zumba-halle um die ecke gefunden hat, zog
ich gestern die sportschuhe an und ging joggen. es war befreiend. und zugleich
ernuechternd. im grunde konnte ich in jede himmelsrichtung fuenf kilometer
rennen und hatte das gleiche panorama zu erwarten. richtige parks gibt es nur
im zentrum und die beeindruckende natur ganz am rande der stadt. so lief ich
entlang der stauenden strassen, inhalierte tief den geruch des benzins, brannte
unter der sonne, huetete mich vor den aggressiv heransprintenden hunden und so manch
verwahrlosten wohnblocks. auch wenn die muehen einer umstrukturierung zu
erkennen sind, das „nah“-verkehrssystem ausgebaut wird, fahrradwege entstehen und
immer mehr sportgeraete auf kleinen plaetzen zu finden sind, so bietet santiago
keinen hohen lebensstandard. und schlicht vieles von dem, was dieses land so
reizvoll und einzigartig macht, findet man tendenziell nicht in der hauptstadt.
um uns von den zwaengen santiagos frei zu machen, um
manchmal schneller zu sein, auch geld zu sparen und vielleicht auch mehr sitzen
zu koennen, haben wir uns nun fahrraeder gekauft. und helme. anders als im
sonst so sicherheitsverliebten deutschland besteht hier naehmlich helmpflicht.
und auf diesen strassen auch nicht ganz grundlos. als wir unsere raeder stolz
eltern gómez albornoz praesentierten, schuettelten sie verwundert den kopf. guter
preis hin oder her, wie konnten wir es nur vergessen zu verhandeln?
die fahrraeder kauften wir waehrend der vierstuendigen wartezeit
bei der internationalen polizeibehoerde, wo ich mich in das zivilregister
einzutragen hatte. am tag darauf musste ich dann wieder ins zentrum, diesmal um
den chilenischen ausweis zu beantragen. es waren wieder vier stunden zu warten.
und dabei wird es wohl auch nicht bleiben. denn meine, ja, „sondersituation“ stellt
die institutionen hier, und damit mich, vor grosse probleme: in chile setzt sich
der erste nachname aus dem des vaters und der zweite aus dem der mutter
zusammen. das annehmen eines gemeinsamen nachnamens bei eheschliessung ist
nicht vorgesehen und selbst fuer migrationsbehoerden nicht nachvollziehbar. ob
ich als gebuertiger arnold und gegenwaertiger gómez albornoz bald meinen
ausweis abholen kann, ob es in die naechste runde mit der deutschen botschaft
geht und wie ich letztlich hier heisse, ist noch offen. es ist zum schmunzeln.
wenn es nicht so viel zeit, diskussionskraft, nerven und geld kosten wuerde.
ja. das geld. so sehr ich eigentlich der kapitaliatischen
grundidee verfallen bin, so erschreckend finde ich doch die zuege, die der
reine kapitalismus annehmen kann. denn obwohl chile mit der praesidentin
michelle bachelet von einer sozialistischen regierung gefuehrt wird, gibt es
wohl nur wenig laender auf dieser welt, die das kapitalistische prinzip so
extrem ausreizen. alles ordnet sich der wirtschaft unter. bildung in der schule
und an der uni ist ungemein teuer und verschuldet generationen. krankenkassen
decken nur sehr bedingt und begrenzt behandlungen ab. der wassermarkt und die strassen sind privatisiert. wir begeben uns nun gerade an eine der schaltstellen dieses
systems, die banken, und eroeffnen ein konto. und stellen fest: alles kostet. das
fuehren eines kontos an sich, das abheben, das ueberweisen, selbst das erfragen
des kontostands. vielleicht ist die marktorientierung hier sehr krass.
vielleicht bin ich aber auch nur ausserordentlich viel regulierung und sozialstaat
gewohnt.
wir hatten also viel organisatorisches hier zu erledigen, stehen
kurz vor abschluss des mietvertrages, treffen freunde und besuchen konzerte.
nun verlassen wir fuer ein paar tage das hause gómez, das zu stosszeiten eher
einem gemeindezentrum gleicht mit den vielen besuchen der schwestern,
verwandten und der bandproben der folkloregruppe vom neffen cristóbal.
zweiter auftritt der band kanqui mit frontmann cris im stadtzentrum
morgen
fahren wir raus richtung molina, gut 200 kilometer suedlich von santiago, wo die eltern
ein ferienhaus auf dem land haben. ich freu mich auf die etwas reizaermere umgebung.
und auf eines der schoensten gesichter dieses landes: seine natur.