Samstag, 25. April 2015

gebaren der natur


der tag beginnt bewoelkt. wie es halt morgens am meer manchmal so ist. dachte ich. dann las ich in den nachrichten, dass nahe puerto montt, etwa 1.000 kilometer suedlich von uns, der vulkan calbuco ausgebrochen ist. was hier wie der morgendliche kuestennebel an einem herbsttag wirkte, war stattdessen der effekt einer riesigen aschewolke, die ueber nacht richtung norden zog. nun lag sie auch ueber valparaíso und wurde selbst noch im weit entfernten buenos aires wahrgenommen.


calbuco? ich schuettelte unglaeubig den kopf. eben rumorte doch noch der vulkan villarica nahe pucón. und ueberhaupt: waldbraende in unserer region. dramatische ueberschwaemmungen im norden. an manchen orten eine bereits mehrjaehrig waehrende duerre, die die wasserversorgung der ansaessigen bevoelkerung in absehbarer zeit sehr in frage stellt. waehrenddessen all die kleinen beben im ganzen land. und nun zwei vulkanausbrueche. wohlgemerkt alles innerhalb von sechs wochen.
die wuchtigen berge und an die 90 (!) aktive vulkane, das wilde meer, die wueste im norden und die gletscher im sueden - all das ist chiles einzigartiger schatz. und zugleich eine buerde. denn dieses spektakel an naturraeumlichen phaenomenen weist zugleich auch auf das pulsierende innenleben an solch einer schnittstelle des planeten hin. es setzt dem volk uebel zu.

atacama-wueste 2008

vulkan villarica 2005

nationalpark torres del paine 2005

und es macht das regieren schwer. das amt der praesidentin bachelet kommt eher einem sich staendig im einsatz befindenden katastrophenschutz gleich. mal fliegt sie im helikopter ueber unzugaengiges gebiet, mal kaempft sie sich in gummistiefeln durch den matsch, viel sucht sie das gespraech mit verzweifelten menschenmassen und verspricht schnellstmoegliche unterstuetzung. keine frage, die vielen aktuellen vorfaelle der korruption bis in die hoechsten ministerien, die dominanz des markts oder der umgang mit der eigenen historischen vergangenheit sind aspekte, die eine sehr kritische betrachtung der chilenischen politik verdienen. doch: gutes regieren in chile ist unter diesen naturraeumlichen voraussetzungen wirklich auch sehr anspruchsvoll.

Sonntag, 19. April 2015

medizinische versorgung (2/2)

die medizinische versorgung in chile ist nach wie vor stark von richtungsweisenden entscheidungen aus zeiten der diktatur unter pinochet (1973-1990) gepraegt. sie verfuegt ueber prinzipiell zwei straenge. die meisten menschen nutzen dienste des oeffentlichen gesundheitssystems. arbeitnehmer zahlen dafuer obligatorisch 7 % ihres lohnes in die kassen von „fonasa“. oder sie sind privat, also ueber „isapres“ versichert und haben ihren beitrag individuell ausgehandelt. und in beiden faellen muss je nach krankheit oder einkommen fuer viele behandlungen von den patienten zugezahlt werden. trotz der versicherungsbeitraege sind etwa 37 % der aerztlichen leistungen in chile ueber persoenliche zuzahlungen finanziert!
das problem ist insbesondere, dass das private system seine klienten nach rein wirtschaftlichen kriterien auswaehlen kann und damit exorbitante gewinne einfaehrt. immerhin, so las ich, ist das geschaeft mit den krankheiten der menschen hier das zweitrentabelste nach dem bergbau. das oeffentliche system hingegen hat jeden unabhaengig seines gesundheitlichen risikos, alters oder einkommens zu versorgen. mit den vielen beduerftigen, schlecht verdienenden und vulnerablen versicherten ist es schlicht ueberfordert und sowieso chronisch unterfinanziert. 
nun hat sich die regierung im jahre 2005 (plan „auge“) verpflichtet, die behandlung bestimmter krankheiten wie krebs oder diabetes fuer alle buerger zu garantieren und bestimmte bedingungen wie begrenzte wartezeiten oder limitierte zuzahlungen zu gewaehrleisten. doch statt ihr oeffentliches system auszubauen, kauft sie sich teuer bei den privaten anbietern ein, um defizite in der versorung auszugleichen. die spaltung beider systeme - und beider patientengruppen - vertieft sich.
von wem man schliesslich medizinisch behandelt wird, entscheidet also die persoenliche form der versicherung. entsprechende aerztehaeuser bedienen entweder patienten von fonasa oder von isapres. zudem bestehen krankenhaueser und vor allem sogenannte consultorios, die der grundversorgung dienen und auch nicht-versicherte (teilweise) kostenfrei behandlungen ermoeglichen. allein den vielen arbeitssuchenden, beschaeftigten aus dem informellen arbeitssektor oder auch den obdachlosen kommt das sehr zu gute. doch kann man dort auch schnell mal einen halben tag auf eine kurze diagnose warten.

mit unserer deutschen auslandskrankenversicherung sind wir in der privilegierten situation frei waehlen zu koennen, wo wir uns behandeln lassen. um nun also unsere sporttauglichkeit fuer entsprechende zertifikate unter beweis zu stellen, besuchten wir dieses mal keine private praxis sondern das oeffentliche consultorio unseres viertels. etwa eine dreiviertelstunde kaempften wir uns den steilen huegel hinauf zum aerztehaus. 


  


gleich hinter der kostenfreien ausgabestelle von milch fuer alle muetter befand sich ein infoschalter. dort teilte man uns schliesslich mit, hilfe koennten wir hier nicht bekommen. kostenfreie versorgung ist wohnortgebunden. und wir gehoeren zum zustaendigkeitsbereich ganz unten in der innenstadt. ufff...

unsere zertifikate hielten wir nun also noch immer nicht in den haenden. doch hatten wir unser viertel und vor allem das system medizinischer dienste etwas besser kennengelernt und verstanden. mich nervt das jetzt schon ziemlich. wobei uns zugleich von allen seiten gesagt wird, dass sich in den vergangenen jahren doch so viel verbessert hat. und das muss man der regierung fairerweise lassen. auch wenn die organisation der eigenen behandlung alles andere als bequem ist und dich ein eingriff in den ruin treiben kann - doch egal wo du herkommst, du erhaeltst hilfe.
die gesundheitliche versorgung ist jedenfalls ein thema, das uns weiter beschaeftigen wird. und, das war uns von anfang an bewusst, auch mit den ausschlag geben wird, wohin unserer weiterer weg langfristig fuehrt.

mittlerweile haben wir uns uebrigens den wisch zum sportmachen endlich organisieren koennen. nicht ueber das oeffentliche system, auch nicht ueber das private. wir profitierten von einem dritten, sehr chilenischen weg: beziehungen...

Donnerstag, 16. April 2015

medizinische versorgung (1/2)


chile bietet eine ausgezeichnete medizinische versorgung und liegt mit seinen technischen und hygienischen standards auf einem niveau mit mitteleuropaeischen nationen. sowas liest man in den meisten reisefuehrern. mir verdreht sich dabei der magen. nicht von der hand zu weisen ist, dass in chile in der tat beste voraussetzungen bestehen um aerztliche behandlungen aller art professionell durchzufuehren. gerade im vergleich zu anderen suedamerikanischen staaten findet man hier sehr gute bedingungen vor. doch das problem in chile ist vielmehr: wer hat den zugang? und zu welchem preis?

nachdem ich anderthalb wochen eine eklige erkaeltung mit mir rumtrug und sich mein befinden eher zuspitzte statt sich zu verbessern, entschloss ich mich zum arzt zu gehen. und somit eine mir noch recht fremde tuer zu oeffnen zu einem der maschinenraeume dieses landes. zunaechst fragten wir bei sechs verschiedenen praxen an. die einen widmen sich nur studenten. die anderen ausschliesslich matrosen. die dritten kuemmern sich wiederum nur um die finanzielle abwicklung. doch die uebrigen koennen mir helfen - aber erst naechste woche. nachdem endlich meine nummer auf der digitalen tafel des siebten aerztehauses erschien, teilte man mir mit, der doktor haette spontan zeit fuer mich. mit der diagnose einer viralen grippe fuhr ich erschoepft von dem ganzen aufwand fuer eine schlichte behandlung zurueck von der wuseligen innenstadt in unsere wohnung. und war jetzt erst richtig krank. 


eine recht elendige aber heilvolle woche spaeter widmeten wir uns dem thema erneut. denn wir brauchen gesundheitszertifikate, fernanda um beim zumbakurs weiter teilnehmen zu koennen, ich um das schwimmbad nutzen zu duerfen. buerokratie ist kein ausschliesslich deutsches gut. jedenfalls nahmen wir es zum anlass, nun mal das oeffentliche statt private gesundheitssystem kennen zu lernen. um dieses durcheinander an behandlungsmoeglichkeiten besser verstehen zu koennen, erlaeutere ich euch mal kurz die wesentlichen strukturen der medizinischen versorung chiles - beim naechsten mal...


Dienstag, 7. April 2015

soziale arbeit



ich hab die fruehschicht. halb sieben klingelt der wecker. mit einem kaffee setz ich mich auf die couch neben dem fenster, blick auf den rauschenden ozean und mach ruhige musik an. dann geht’s an die arbeit. ich durchforste die vier, fuenf suchmaschinen nach neuen stellen, beantworte muehsam offenen mailverkehr mit vertretern interessanter arbeitgeber, aktualisiere das bewerbungsmaterial, such nach neuen adressen. waehrenddessen geht die sonne auf und der leuchtturm aus, das militaer hisst die chilenische flagge, ein grosses kriegsschiff oder auch mal ein frachter mit hamburg-sued-containern faehrt vorbei. 


wenn fernanda vom sport zurueckkommt, leg ich die sachen beiseite. wir fruehstuecken, dann setzen wir uns gemeinsam an den arbeitstisch. die wichtigen von mir verfassten wortwechsel werden nochmal gegengelesen, korrigiert, manchmal auch auseinandergenommen und umformuliert. ernuechtert von meinen sprachlichen defiziten schick ich dann die naechsten bewerbungen ab und mach feierabend. jetzt ist fernanda dran. ich ueberreich ihr den computer und geh ans meer. fahr mit dem rad in die stadt, lese oder uebe vokabeln. am fruehen abend finden wir uns wieder zusammen und blicken dem sonnenuntergang entgegen. 
es ist eine merkwuerdige zeit. wahrscheinlich waren wir noch nie so frei, konnten unter so guten voraussetzungen so ungezwungen und flexibel leben wie in diesen wochen. und doch fehlt uns etwas. ja. uns fehlt die arbeit. 


fernanda ist sozialpaedagogin, ich bin heilpaedagoge, uns beide packt die soziale arbeit. besonders fernanda verspuert nach den vielen jahren des studiums in santiago und muenster die grosse sehnsucht, nun endlich ganz klassisch ihre profession auszuueben. und gerade in unserer neuen heimat gibt es auch mehr als genug handlungsfelder, die nur so nach interventionen schreien. eine gute anstellung zu finden, steht aber auf einem ganz anderen blatt. zunaechst einmal haben wir probleme mit den papieren. ich hab das gefuehl, dass wir mit unseren deutschen titeln und erfahrungen fuer viele institutionen sehr interessant sind. doch am ende haben zahlreiche, auch nicht-staatliche, einrichtungen ihre gesetzlichen vorgaben, wer mit welchen qualifikationen bei ihnen arbeiten darf. das verlangt chilenische zertifikate. wir muessten unsere abschluesse bei der nationalen universidad de chile abgleichen lassen. und das ist eine unglaubliche tortur (dauert viele monate, ist teuer, verlangt mitunter die wiederholung von seminaren, pruefungen und diplomarbeit, alles wohlgemerkt ergebnisoffen). zum anderen bringt uns der stand unserer profession in eine sackgasse. ich behaupte mal, dass es keinen ort auf der welt gibt, an dem soziale arbeit wirklich die gleiche anerkennung bekommt wie andere akademische berufe. so auch in chile. nur eben noch viel schaerfer. ein grossteil unserer potentiellen arbeitgeber sind nicht-regierungs-organisationen, die auf spenden angewiesen sind. das niedrige gehalt erklaert sich von selbst. und in staatlichen einrichtungen sind die mittel aehnlich begrenzt. so uebrigens auch im schulsystem. mein lehrer-freund pablo erzaehlte mir, dass das einstiegsgehalt von lehrern bei etwa 750 euro liegt. vollzeit. das ist wohl auch der grund, warum der studiengang des lehramts einer der einzigen kostenfreien des landes ist.
weil haeufig vermutet wird, dass dafuer die ausgaben in chile entsprechend geringer sind: dem ist nur bedingt so. gemuese, benzin und transport, miete oder die handwerkerstunde moegen billiger sein. aber wasser und strom, der grosseinkauf im supermarkt, die telefonrechnung, bankgeschaefte und der besuch des schwimmbads, vor allem aber bildung und gesundheit: all das kostet in chile genauso viel und oft auch entschieden mehr. de facto liegen unsere ausgaben im durchschnitt nicht weit unter denen in muenster. und genau das macht das niedrige niveau der gehaelter so erdrueckend.


wir stellen uns deswegen breit auf, bewerben uns bei sozialen institutionen aber eben auch im privaten dienstleistungssektor, bei sprachschulen, universitaeten oder bei der deutsch-chilenischen handelskammer. und wir versuchen beziehungen zu knuepfen, die sind hier besonders viel wert. drei weitere bewerbungsgesprache liegen mittlerweile hinter mir. solche formellen vorstellungen gehoeren nun nicht gerade zu meinen heissbluetigsten hobbies. noch weniger spass finde ich daran in spanischer sprache. entsprechend schweissgebadet hinterliessen mich die einladungen, waehrend der frische herbstwind durch die strassen zog und mich erstmal fuer mittlerweile knapp zwei wochen mit ner grippe flachlegte. zumindest ein, zwei heisse eisen liegen nun aber im feuer. doch dazu mehr, wenn etwas schwarz auf weiss ist.