ich hab die fruehschicht. halb sieben klingelt der wecker.
mit einem kaffee setz ich mich auf die couch neben dem fenster, blick auf den
rauschenden ozean und mach ruhige musik an. dann geht’s an die arbeit. ich durchforste
die vier, fuenf suchmaschinen nach neuen stellen, beantworte muehsam offenen
mailverkehr mit vertretern interessanter arbeitgeber, aktualisiere das
bewerbungsmaterial, such nach neuen adressen. waehrenddessen geht die sonne auf
und der leuchtturm aus, das militaer hisst die chilenische flagge, ein grosses
kriegsschiff oder auch mal ein frachter mit hamburg-sued-containern faehrt
vorbei.
wenn fernanda vom sport zurueckkommt, leg ich die sachen beiseite. wir
fruehstuecken, dann setzen wir uns gemeinsam an den arbeitstisch. die wichtigen
von mir verfassten wortwechsel werden nochmal gegengelesen, korrigiert,
manchmal auch auseinandergenommen und umformuliert. ernuechtert von meinen
sprachlichen defiziten schick ich dann die naechsten bewerbungen ab und mach feierabend. jetzt ist fernanda dran. ich ueberreich ihr den computer
und geh ans meer. fahr mit dem rad in die stadt, lese oder uebe vokabeln. am
fruehen abend finden wir uns wieder zusammen und blicken dem sonnenuntergang
entgegen.
es ist eine merkwuerdige zeit. wahrscheinlich waren wir noch
nie so frei, konnten unter so guten voraussetzungen so ungezwungen und flexibel
leben wie in diesen wochen. und doch fehlt uns etwas. ja. uns fehlt die arbeit.
fernanda ist sozialpaedagogin, ich bin heilpaedagoge, uns beide
packt die soziale arbeit. besonders fernanda verspuert nach den vielen jahren des studiums in santiago und muenster die grosse sehnsucht, nun endlich ganz
klassisch ihre profession auszuueben. und gerade in unserer neuen heimat gibt
es auch mehr als genug handlungsfelder, die nur so nach interventionen
schreien. eine gute anstellung zu finden, steht aber auf einem ganz anderen
blatt. zunaechst einmal haben wir probleme mit den papieren. ich hab das
gefuehl, dass wir mit unseren deutschen titeln und erfahrungen fuer viele
institutionen sehr interessant sind. doch am ende haben zahlreiche, auch nicht-staatliche,
einrichtungen ihre gesetzlichen vorgaben, wer mit welchen qualifikationen bei
ihnen arbeiten darf. das verlangt chilenische zertifikate. wir muessten unsere
abschluesse bei der nationalen universidad de chile abgleichen lassen. und das
ist eine unglaubliche tortur (dauert viele monate, ist teuer, verlangt mitunter
die wiederholung von seminaren, pruefungen und diplomarbeit, alles wohlgemerkt ergebnisoffen). zum anderen
bringt uns der stand unserer profession in eine sackgasse. ich behaupte mal,
dass es keinen ort auf der welt gibt, an dem soziale arbeit wirklich die
gleiche anerkennung bekommt wie andere akademische berufe. so auch in chile.
nur eben noch viel schaerfer. ein grossteil unserer potentiellen arbeitgeber
sind nicht-regierungs-organisationen, die auf spenden angewiesen sind. das
niedrige gehalt erklaert sich von selbst. und in staatlichen einrichtungen sind
die mittel aehnlich begrenzt. so uebrigens auch im schulsystem. mein lehrer-freund pablo erzaehlte mir, dass das
einstiegsgehalt von lehrern bei etwa 750 euro liegt. vollzeit. das ist wohl
auch der grund, warum der studiengang des lehramts einer der einzigen
kostenfreien des landes ist.
weil haeufig vermutet wird, dass dafuer die ausgaben in
chile entsprechend geringer sind: dem ist nur bedingt so. gemuese, benzin und
transport, miete oder die handwerkerstunde moegen billiger sein. aber wasser
und strom, der grosseinkauf im supermarkt, die telefonrechnung, bankgeschaefte
und der besuch des schwimmbads, vor allem aber bildung und gesundheit: all das
kostet in chile genauso viel und oft auch entschieden mehr. de facto liegen
unsere ausgaben im durchschnitt nicht weit unter denen in muenster. und genau
das macht das niedrige niveau der gehaelter so erdrueckend.
wir stellen uns deswegen breit auf, bewerben uns bei
sozialen institutionen aber eben auch im privaten dienstleistungssektor, bei
sprachschulen, universitaeten oder bei der deutsch-chilenischen handelskammer. und
wir versuchen beziehungen zu knuepfen, die sind hier besonders viel wert. drei
weitere bewerbungsgesprache liegen mittlerweile hinter mir. solche formellen vorstellungen
gehoeren nun nicht gerade zu meinen heissbluetigsten hobbies. noch weniger spass finde ich daran in spanischer sprache. entsprechend schweissgebadet
hinterliessen mich die einladungen, waehrend der frische herbstwind durch die
strassen zog und mich erstmal fuer mittlerweile knapp zwei wochen mit ner grippe flachlegte. zumindest ein, zwei
heisse eisen liegen nun aber im feuer. doch dazu mehr, wenn etwas schwarz auf
weiss ist.