wenn die strassen vor unserem haus gesperrt werden, die polizei
mit einem massiven aufgebot das bild des viertels praegt und
eine ganz angespannte stimmung in der luft liegt, kann das nur zwei gruende
haben: es sind studentenproteste. oder es wird fussball gespielt. und gerade
kommt beides zusammen.
keine 500 meter luftlinie liegt valparaísos stadion elías
figueroa brander von unserer wohnung entfernt. es ist die heimat des
traditionsvereins santiago wanderers, dem aeltesten noch bestehenden
fussballclub chiles. „santiago“? um es kurz zu fassen: der mythos besagt, dass
im gruendungsjahr 1892 bereits eine mannschaft den namen „valparaíso“ in sich
trug. in einem geistesblitz an kreativitaet fassten die gruender des neuen vereins den entschluss, sich den
namen der nachbarstadt zu eigen zu machen und seitdem irritiert man nicht nur
touristen. wenn santiago wanderers meist auch nur irgendwo im unteren
mittelfeld der primera división rumduempelt, so bleibt es doch ein verein mit
geschichte, herz und kultur. vor wenigen monaten schaute ich mir mal ein ligaspiel gegen
palestino an. die stimmung war super. nur geht es hier sehr rau zu und ist
bestimmt nicht der paedagogisch geeignetste ort fuer einen familienausflug.
blick von unserem dach auf das stadion und die fakultaeten |
und nun steht das stadion im fokus der globalen aufmerksamkeit. denn
chile und damit auch valparaíso sind in diesen wochen austragungsort der copa
america, dem kontinentalen pendant zur europa-meisterschaft. waehrend also
gerade die universitaets-fakultaeten unseres viertels besetzt werden, furiose studenten auf den
daechern rumklettern, barrikaden brennen und steine fliegen, wird gleich nebenan
im stadion der sport zelebriert.
"waehrend ihr den ball rollen seht, kaempft chile um seine bildung"; "universität playa ancha (upla) besetzt" |
steine gegen wasserwerfer |
die stimmung in den arenen wie im fernsehen ist frenetisch.
auf den strassen indes kommt nur wenig an begeisterung auf. fanmeilen oder
public viewing gehoeren hier nicht zur fussball-kultur, eher schaut man die
spiele bei freunden. und so richtige ekstase gibt es bislang vor allem bei den partien
chiles, nicht so richtig bei anderen mannschaften.
ich hatte nun das grosse glueck die vorrundenspiele in
meiner stadt besuchen zu können: bolivien gegen ecuador. und peru gegen venezuela. zwei
echte klassiker mit grossartigem unterhaltungswert. das publikum ist ein
deutlich entspannteres, bunteres, friedlicheres und internationaleres als das
der liga. die fangesaenge sind leidenschaftlich, manchmal auch sehr
sarkastisch. als ecuador gegen bolivien unterging und dem binnenstaat den
ersten copa-sieg nach 18 jahren bescherte, riefen die verlierenden anhaenger
hoehnisch „wir haben meer, wir haben meer“ und forderten immer und immer wieder
provokativ die „welle“. bei spielen gegen brasilien ist der standardgesang
hingegen: „sieben zu eins, sieben zu eins.“ ihr ahnt, warum.
wie immer und
ueberall in chile wird auch dieser besondere anlass von kleinhaendlern genutzt.
fast im minutentakt steigt ein verkaeufer ueber die stuehle und deine beine und
preist lautstark sein repertoire an. cola, kaffee, hamburger, nuesse, pralinen,
chips oder suesses gebaeck. nur bier gibt es nicht. denn das ist hier wirklich
besonders: in chilenischen stadien ist striktes alkoholverbot. und nicht nur
da. nach der ersten partie wollte ich mit meinem schwippschwager zur feier des
anlasses einen trinken gehen. doch alle alkohollaeden im umkreis von etwa einem
kilometer waren verpflichtet, bis zu drei stunden nach spielende ihren verkauf
einzustellen. und selbst unsere traditionsreiche studenten- und fankneipe
„roma“ musste ihre tueren geschlossen halten. mir erschien das suspekt. aber diese harte regelung mag gute gruende haben.
apropos alkohol. der star der chilenischen mannschaft arturo
vidal hat gerade an dem trainings- und spielfreien tag einen drauf gemacht und
ist betrunken und rasend auf der autobahn mit seinem nigelnagelneuen ferrarie kollidiert. zum glueck ist keiner der beteiligten ernsthaft verletzt worden. jetzt streitet man in den medien, ob vidal bei seiner dicken akte an verkehrsvergehen
nicht langsam mal ins gefaengnis gehoert oder zumindest von der copa
suspendiert werden sollte. quatsch. leider streitet man eben nicht kontrovers sondern scheint vielmehr zu hoffen,
dass bloss keiner auf die irre idee kommt, ihn von den naechsten spielen auszuschliessen.
ach ja. die studentenproteste. ab naechstem jahr nun moechte
man die studienfinanzierung von 60% der beduerftigen akademikern, und nur
dieser, an ausschliesslich staatlichen universitaeten uebernehmen. das ist weit
entfernt von den wahlversprechungen der sozialistischen regierung und bringt
das fass zum ueberlaufen. schueler, studenten, lehrer und dozenten sind schon
lange am ende ihrer geduld und satt falscher verheissungen. die empörung und
frustration dringt auf die strasse und artet hier und da in blinder
zerstoerungswut aus. doch in den fernsehkanaelen kommt vor allem inhaltlich
fast nichts an. viel spannender sind da die reumuetigen bekundungen des weinenden
vidals…
das stadion leert sich, waehrend protestler auf den daechern ihrer uni plakate anzuenden |
mit diesen zeilen verabschiedet sich nun der blog in die
winter- bzw. sommerpause. nach drei wochen in deutschland werde ich ab mitte
juli wieder meine eindruecke aus valparaíso und chile an dieser stelle zum
besten geben.