Dienstag, 16. Juni 2015

parallelwelten (2/2)

... nach einer halben weltreise durch ein paradies an bergen, verlassenen feldern und kleinen doerfern erreichten wir die justizvollzugsanstalt gut 60 km im norden von santiago. die sicherheitsvorkehrungen und kontrollen am eingang unterbrechen den frieden der fahrt ruede und lassen dich schnell ankommen in dieser anderen welt. hier befindet sich also das publikum, vor dem wir uns in acht nehmen. die menschen, deren handwerk die nachrichten bestimmt und uns taeglich verzweifelt den kopf schuetteln laesst. und mitten unter ihnen unser freund. es ist solch ein komisches gefuehl, einen zweifachen moerder innig zu umarmen und ihn auch noch gern zu haben...
wir unterhielten uns ueber alte zeiten, ueber schoene erinnerungen, ueber lustiges, trauriges, erschreckendes und furchtbares. dann endete die besuchszeit. die haeftlinge verliessen den grossen saal und kehrten zurueck in ihre apartments. anschliessend traten die gaeste aus. erst muetter mit ihren kindern, dann die frauen und zu guter letzt wir maenner. zwischendurch schloss man immer wieder die tore. so blieb ich einige minuten allein mit vier anderen, wirklich duesteren gestalten zurueck in dem kalten raum. und kam nun auch emotional an, im gefaengnis. 

aufgewuehlt, betroffen und zugleich dankbar fuer unsere freiheit machten wir uns auf den langen rueckweg. einen guten teil der strecke fuhren wir in der ueberregionalen metro valparaísos. hier geht es zu wie in einer gewoehnlichen regionalbahn in deutschland. nur, dass kaum eine minute vergeht ohne einen vortrag, ein geschaeft oder eine musikalische einlage. zuerst ergriff uns eine opernsaengerin (!) und bereitete uns gaensehaut. darauf hoerten wir mexikanische liebeslieder, ein nicht enden wollendes floetengebimmel, die rede einer um kleingeld bittenden dame fuer die teure op ihres kindes und eine gitarren-mundharmonika-kombo. waehrenddessen liefen die suessigkeitenverkaeufer den zug auf und ab und priesen unermuedlich ihre wegverpflegung an. gerade holte ich zwei scheine raus, um die cd einer wirklich atemberaubend toll singenden schwangeren studentin und ihres gitarristen zu kaufen, als die polizei eintrat und dem ganzen schauspiel ein ende setzte. denn, so sehr musik und markt auch zum metrogeschehen dazugehoeren mag: es ist illegal. auf langen fahrten kann der ganze wusel auch wirklich viele nerven rauben. und steuern zahlt sicher auch kaum einer der ambulanten haendler. doch darf man nicht vergessen, dass es wirklich oft grosse kunst ist, was die darsteller bieten. und vor allem, dass ihnen kein anderer weg bleibt, um ihre ausgaben fuer familie, studium, wohnung oder gesundheit zu decken. 

entlang der kueste fuhren wir mit dem fahrrad die letzten meter zurueck nach hause, genossen das kraeftige meeresrauschen in dieser warmen nacht und unseren persoenlichen frieden. ich schwelgte in gedanken. was sind das nur fuer unterschiedliche welten, die hier in uns und um uns herum aufeinander prallen? so viele belastete biografien und bittere schicksale, die uns tag fuer tag begegnen. glueck und pech gehen arm in arm. hier ganz besonders.


auf dem weg trafen wir zufaellig eine bekannte. sie warnte uns. die studentenproteste in unserem viertel seien gerade wieder in vollem gange. eben kosteten diese noch zwei menschenleben, brachten einen demonstranten auf grund der polizeigewalt ins koma, es brannten autos und laeden in valparaíso. nun lag wieder traenengas in der luft…

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