Montag, 16. März 2015

ein blick aus dem fenster (2/2)



... gleich neben dem zweiten hochhaus, das uns den weitblick schmaelert, befindet sich ein grosser friedhof, dessen frequentiertes kommen und gehen uns die schnelllebigkeit des glueck praesent haelt. davor wohnen menschen in provisorischen holzhuetten, wahrscheinlich ohne wasser, strom und genehmigung. morgens machen sie sich ein feuer zum kochen. einer von ihnen ist es vermutlich, der tag fuer tag den strand reinigt, an dem ich es mir gut gehen lasse. und den obdachlosen tipps gibt, die hier manchmal zelten. barfuss und in zerlumpten sachen fahren diese am naechsten tag ihr hab und gut im einkaufswagen weiter durch die stadt. 


das wasser des meeres ist auch im spaetsommer schweinekalt. und musik praegt die atmosphaere des sonnenbads. schwungvoller cumbia kracht aus der anlage der rettungsschwimmer, deren kapazitaet sie voll ausreizen. wem das nicht gefaellt, holt die eigene gitarre raus oder laesst mp3's vom handy laufen. zu hause ist es hingegen leise. mal abgesehen von der schar an hunden, die die ganze nacht ueber irgendwelche internen konflikte austragen. 
unsere nachbarn sind fast ausschliesslich junge studenten, die die freiheiten des studiums geniessen. und sich dabei uebel verschulden in anbetracht der hohen studiengebuehren. das kann hier mal locker 200, 300 € kosten - pro monat! gleichzeitig ist es absolut nichts ungewoehnliches, ein einkommen von etwa 300, 400 € bei einer vollzeitstelle, also hier oft 45 stunden, zu haben. die abschaffung der kosten von bildung ist ein zentrales projekt der regierenden praesidentin. es kann aber alles noch ein paar jahre dauern und solange bluten die studenten. und machen das beste draus. wobei auch die feierlichkeiten auf den felsen der kueste heikel fuer sie sind. denn alkohol auf den strassen ist in chile strikt verboten und wird hart geahndet. 
unser wohnen ist sehr konfortabel. wir gehoeren bestimmt zu den priviligiertesten der stadt. doch eine heizung gibt es auch hier nicht. und supermaerkte ebenso wenig. aber kleine geschaefte, mit denen wir uns gut arrangieren koennen. dennoch ist jede kleine erledigung schnell schweisstreibend in anbetracht des staendigen auf- und abstiegs der huegel.




die busse ersparen einem den kraftakt und fahren zudem sehr schnell. doch hat das seinen preis. damit meine ich nicht den finanziellen, denn benzin und damit transport ist in chile sehr guenstig. vielmehr kann es nervenaufreibend sein. vor ein paar tagen sassen wir in diesem rasant durch die stadt peitschenden gefaehrt, der chauffeur schaute emotionslos auf das gewirr vor ihm, sein assistent rief waehrenddessen durch die offene tuer die schluesselstellen der route. nach einem zu kurzen halt fiel ploetzlich ein pasagier raus. der fahrer schaute kurz in den rueckspiegel. dann fuhr er weiter.
der kuestenweg ist von uns aus laenger als die ueberquerung der huegel, dafuer aber flach und wunderschoen. man blickt auf das weite meer, auf die bucht und bunten, hohen haeuser, auf kleine anglerboote und riesige frachter. und auf ettliche fette, graue militaerschiffe. sie erinnern an vergangene konflikte und aktuelle auseinandersetzungen mit den noerdlichen nachbarstaaten. gerade der geschaeftige hafen fasziniert mich. doch unsere erste besucherin samantha (schwester von richard) war ganz schoen genervt vom joggen entlang des hafengebiets. um blicke, rufe und pfiffe kommt man als blondhaarige nur schwer herum.



und um dieses idealbild des traumhaften lebens am meer abschliessend auf den boden der tatsachen zurueckzuholen: wir liegen hier natuerlich auch nicht nur unter der sonne, treiben sport und empfangen gaeste. es gibt behoerdliches zu erledigen. diesmal uebrigens mit erfolg. ich habe nun endlich einen chilenischen ausweis und vor allem: ich behalte meinen namen!! und wir sind intensiv mit der arbeitssuche beschaeftigt, recherchieren, schicken mails raus. vor ein paar tagen hatte ich mein erstes bewerbungsgespraech in einer beratungs- und therapieeinrichtung. wenn der erfolg wohl auch ausblieb, so kommen wir doch insgesamt in bewegung, knuepfen kontakte und lernen unser arbeitsumfeld kennen.

alles in allem ist unsere neue lebenswelt also nicht nur glanzvoll und genauswenig grau und duester. es ist schlicht die vielschichtige realitaet, in die wir hier reintauchen. doch bei all unseren vorausgegangenen ueberlegungen und traeumereien: es uebertrifft alle erwartungen! zumindest gegenwaertig und unter unseren guten bedingungen.
doch das moegen andere hier auch ganz anders einschaetzen. denn es gibt krasse armut, rohe gewalt und humanitaere katastrophen, in chile und ganz besonders in valparaíso. und alles liegt nah beieinander. dies wurde uns nun auch erschreckend vor augen gefuehrt. doch dazu ein naechstes mal...

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