Mittwoch, 16. Dezember 2015

kontraste (2/2)



… auch wenn sich die religioesen verhaeltnisse in chile gegenwaertig etwas verschieben moegen: nach wie vor bekennen sich ca. 85% der bevoelkerung zum christlichen glauben. waehrend ich auf dem deutschen arbeitsmarkt probleme mit bewerbungen bei kirchlichen einrichtungen hatte, da ich nicht getauft bin, scheint das aus meiner sicht in chile gar kein thema zu sein. man geht wohl schlicht davon aus, dass sowieso alle dem christlichen glauben angehoeren. busfahrer haengen sich ihre holzkreuze an den rueckspiegel und kleben einen jesus-sticker ans fenster. und der moderne chilene taetowiert sich gleich den rosenkranz auf den unterarm. jedoch gibt es hier deutlich weniger religioese feiertage als in deutschland. und selbst an diesen tagen gehen viele menschen ihrer gewoehnlichen arbeit nach, oeffnen routinemaessig ihr kleines geschaeft oder verkaufen zahnbuersten und toaster auf der strasse.

vor allem wegen des christlichen bezugs hat chile eine der strengsten abtreibungsregelungen weltweit. noch ist die kuenstliche beendigung einer schwangerschaft ausnahmslos verboten, also selbst bei vergewaltigungen oder der lebensgefahr der angehenden mutter. auch wenn die aktuelle regierung um eine leichte lockerung der gesetze ringt, bleibt die lage aeusserst restriktiv. doch bestimmen glaube und gesetz keineswegs die gelebte sexualmoral der menschen. denn es wird rege abgetrieben - illegal, versteckt, gefaehrlich. die fenster der parkenden autos auf den aussichtsplaetzen vor dem pazifik beschlagen vom heissen atem ihrer intimen insassen. und in den abendshows der tv-sender dominiert nackte haut.

dort, im fensehen, sind jene musikevents und inhaltsfreie talkrunden das kontrastprogramm zu den vorausgegangenen nachrichten, die mit tragischen aufnahmen  und dramatischer begleitmusik apokalyptische stimmung erzeugen. der zuschauer bleibt sprachlos zurueck und fragt sich, wo das alles nur hinfuehrt. diese gewalt. und diese ungefilterten bilder. statistiken belegen, dass die angst der chilenen vor ueberfaellen und raub zunimmt. gleichzeitig nahm aber die kriminalitaet in den vergangenen zehn jahren stetig ab.

unterbrochen werden die fernsehprogramme von anregenden werbespots fuer escudo oder cristal, den marktfuehrern der bierbrauereien in chile. auf postern posieren blonde bikini-ladys mit dem erfrischenden getraenk in der hand. auch fussballer werben auf ihren trikots fuer den alkohol. und kneipen oder getraenkemaerkte tragen reizvolle namen wie „der kleine himmel“, „schmerzlinderer“, „der fortschritt“ oder „ihr zuhause“. aber das trinken von alkohol in der oeffentlichkeit ist schon lange strikt untersagt. man moechte den konsum drosseln. scheinbar erfolglos. nirgendwo sonst in lateinamerika trinkt man so viel akohol wie in chile.

"bier - kaelter als das herz deiner ex"

chile ist in der tat ein land der gegensaetze, des politischen, sozialen, kulturellen zwiespalts. und das hat auch seine guten gruende. die historische unterordnung, ungleichheit und restriktive gesetze bringen das soziales gefuege aus der balance. doch mutet es fast wie ein naturgesetz an: eine gesellschaft sucht ihr gleichgewicht. und so fuehrt ein extrem zum anderen.

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