… auch wenn sich die religioesen verhaeltnisse in chile
gegenwaertig etwas verschieben moegen: nach wie vor bekennen sich ca. 85% der
bevoelkerung zum christlichen glauben. waehrend ich auf dem deutschen
arbeitsmarkt probleme mit bewerbungen bei kirchlichen einrichtungen hatte, da
ich nicht getauft bin, scheint das aus meiner sicht in chile gar kein thema zu sein. man geht
wohl schlicht davon aus, dass sowieso alle dem christlichen glauben angehoeren.
busfahrer haengen sich ihre holzkreuze an den rueckspiegel und kleben einen
jesus-sticker ans fenster. und der moderne chilene taetowiert sich gleich den
rosenkranz auf den unterarm. jedoch gibt es hier deutlich weniger religioese
feiertage als in deutschland. und selbst an diesen tagen gehen viele menschen
ihrer gewoehnlichen arbeit nach, oeffnen routinemaessig ihr kleines geschaeft
oder verkaufen zahnbuersten und toaster auf der strasse.
vor allem wegen des christlichen bezugs hat chile eine der
strengsten abtreibungsregelungen weltweit. noch ist die kuenstliche beendigung
einer schwangerschaft ausnahmslos verboten, also selbst bei vergewaltigungen
oder der lebensgefahr der angehenden mutter. auch wenn die aktuelle regierung
um eine leichte lockerung der gesetze ringt, bleibt die lage aeusserst
restriktiv. doch bestimmen glaube und gesetz keineswegs die gelebte sexualmoral
der menschen. denn es wird rege abgetrieben - illegal, versteckt, gefaehrlich.
die fenster der parkenden autos auf den aussichtsplaetzen vor dem pazifik
beschlagen vom heissen atem ihrer intimen insassen. und in den abendshows der
tv-sender dominiert nackte haut.
dort, im fensehen, sind jene musikevents und inhaltsfreie
talkrunden das kontrastprogramm zu den vorausgegangenen nachrichten, die mit
tragischen aufnahmen und dramatischer
begleitmusik apokalyptische stimmung erzeugen. der zuschauer bleibt sprachlos
zurueck und fragt sich, wo das alles nur hinfuehrt. diese gewalt. und diese
ungefilterten bilder. statistiken belegen, dass die angst der chilenen vor
ueberfaellen und raub zunimmt. gleichzeitig nahm aber die kriminalitaet in den
vergangenen zehn jahren stetig ab.
unterbrochen werden die fernsehprogramme von anregenden
werbespots fuer escudo oder cristal, den marktfuehrern der bierbrauereien in
chile. auf postern posieren blonde bikini-ladys mit dem erfrischenden getraenk
in der hand. auch fussballer werben auf ihren trikots fuer den alkohol. und
kneipen oder getraenkemaerkte tragen reizvolle namen wie „der kleine himmel“,
„schmerzlinderer“, „der fortschritt“ oder „ihr zuhause“. aber das trinken von alkohol
in der oeffentlichkeit ist schon lange strikt untersagt. man moechte den konsum
drosseln. scheinbar erfolglos. nirgendwo sonst in lateinamerika trinkt man so
viel akohol wie in chile.
chile ist in der tat ein land der gegensaetze, des politischen, sozialen, kulturellen
zwiespalts. und das hat auch seine guten gruende. die historische unterordnung, ungleichheit und restriktive gesetze bringen das soziales
gefuege aus der balance. doch mutet es fast wie ein naturgesetz an: eine
gesellschaft sucht ihr gleichgewicht. und so fuehrt ein extrem zum anderen.
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