Dienstag, 1. Dezember 2015

der hauch des guten



es war der grosse tag gekommen. schon seit wochen erinnerten fette schriftzuege an den fenstern der busse und autos, auf plakaten, haeuserwaenden und im fernsehen, dass dieses wochenende chiles beruehmter spendenmarathon in die 28. runde geht: die teletón. seit 1978 findet jaehrlich im november eine riesige solidaritaetsgala fuer behinderte menschen in chile statt.


don francisco ist der thomas gottschalk chiles, aufmerksame blog-leser moegen ihn schon kennen. er fuehrt in 27 stunden durch eine musik- und traenenreiche show voller schicksalsgeschichten, hoffnungsschimmer und emotionaler momente. mit eindringlichem enthusiasmus wird auf mehreren kanaelen gleichzeitig die gesellschaft aufgerufen, fuereinander einzustehen und jenen personen zu helfen, die besonders grosses pech in ihrem leben hatten und auf unterstuetzung angewiesen sind. das ergebnis ist beachtlich. dieses jahr kamen mehr als 40 millionen euro zusammen. mit dem geld wird die teletón-stiftung finanziert, die mit landesweiten einrichtungen einen essentiellen teil zur rehabilitation und eingliederung der betroffenen beitraegt.

familien und vereine, nachbarn und kollegen, kindergaerten und altenheime von punta arenas in patagonien bis arica in der atacama-wueste haben zum teil schon vor monaten mit spendensammlungen begonnen. heute ueberreichen sie stolz ihren betrag und schreien den slogen in eine videobotschaft: „die teletón machen wir alle zusammen“. und auch die wirtschaft sitzt im boot. ob airlines, kleidergeschaefte, telefonanbieter oder klopapierfabrikanten: die big player der nationalen oekonomie klinken sich tatkraeftig ein, transferieren grosse summen, werben fuer das gute und initiieren eigene aktionen. 

"teletón - die wichtigste marke ist die, die du hinterlaesst... das macht lust auf 'watts' [saft]"

die teletón schiebt ein randthema in den vordergrund, macht bewusst, ruettelt wach. und sie eint das land. menschen, institutionen und unternehmen ruecken heute zusammen und engagieren sich fuer ein gemeinsames ziel: solidaritaet mit den benachteiligten der gesellschaft. dieser fernseh-spendenmarathon ist eine bemerkenswerte tradition chiles, der sich mittlerweile in ganz amerika wie auch auf anderen kontinenten etabliert hat. beachtlich.

oder?

rein gar nichts spricht gegen die hilfsbereitschaft fuereinander. und ein katastrophengeplagtes land wie chile braucht vielleicht auch etwas mehr davon als andere nationen. aber hier geht es um dauerhafte grundbeduerfnisse der betroffenen: ergotherapie fuer unfallopfer, fruehfoerderung fuer das geistig behinderte kleinkind oder berufliche wiedereingliederung. ist das nicht eigentlich aufgabe des staats? doch die praesidentin und andere minister sitzen im publikum und rufen im einklang zu mehr finanziellen zuwendungen auf. das schicksal der empfaenger liegt damit in den haenden der willigen spender. und in denen des teletón-netzwerkes. denn im tiefen sueden des landes, in kleineren staedten oder auf den chilenischen inseln gibt es ihre einrichtungen nicht. 

die produktion des ganzen events ist unheimlich aufgeblaeht. zunaechst uebertraegt man die show aus dem eigens fuer den anlass erbauten teletón-theater. anschliessend folgt die fette party mit aufwendig inszenierten live-acts im lichtermeer des nationalstadions. don fransico taucht heute wie schon seit wochen in jedem zweiten werbespot auf, mal im supermarkt, mal in der bank, mal mit der limo in der hand macht er reklame fuer die sponsoren. alles fuer die teletón. doch um wen geht es eigentlich? es verschiebt sich etwas der fokus. im blickpunkt stehen stars und gefuehle, image und patriotismus. themen wie maengel in der infrastruktur oder fundamentale defizite in der versorgung bilden nur einen kleinen nebenschauplatz.

"minusvalido" / minderwertig - die toilette eines supermarkts und sponsors der teletón

doch am zynischsten ist das gefuege der leitenden koepfe und institutionen im hintergrund. werbepartner, vorstaende und organisatoren sind fast durchweg vorbelastet. reihenweise wurden sie der korruption und bestechung, preisabsprachen und steuerhinterziehung bezichtigt und auch rechtskraeftig verurteilt. so ist beispielsweise der aktuelle schatzmeister der teletón als direktor einer der groessten apothekenketten chiles mitverantwortlich, dass ueber jahre medikamente gegen parkinson oder epilepsie kuenstlich ueberteuert verkauft wurden. es rufen also genau die zum spenden auf, die den beduerftigen finanzielle mittel illegal vorenthalten - indirekt als auch direkt.

die teletón ist seit jahrzehnten eine elementare instanz fuer behinderte menschen in chile. es profitieren nicht bloss sie. wen kuemmert`s, wenn am ende alle gewinnen? nur: gewinnen alle?

1 Kommentar:

  1. Das Neoliberalismus in Reinform und fast weltweiter Trend. Im Prinzip ist der Mechanismus, Sozialstandards auf Kosten der Bevölkerung abzubauen und irrsinnige Gewinne zu erzielen, um dann Almosen zu verteilen, fast überall beobachtbar. Furchtbar.

    AntwortenLöschen