Freitag, 11. Dezember 2015

kontraste (1/2)



„chile - das land der gegensaetze“. mit diesen worten beginnt wohl fast jede zweite reportage zu unserem gegenwaertigen heimatland. auch wenn mir diese immer gleiche formulierung etwas zum hals raushaengt, fasst der satz schon sehr passend die einzigartigkeit der chilenischen geografie zusammen. doch nicht weniger trifft er auf die gesellschaftlichen strukturen hier zu. denn chile ist ein land voller sozialer widersprueche und kontraste…

chile wird von einer sozialistischen regierung gefuehrt - und das nun schon 11 der vergangenen 16 jahre. selbst eine kommunistische partei ist an der gegenwaertigen regierung beteiligt. zugleich gibt es wohl nur wenige laender auf dieser welt, die sich so wehrlos und demuetig dem freien markt unterwerfen. ob universitaeten, krankenhaeuser oder autobahnen,  trinkwasser oder das besagte rentensystem: alles ist privat.


dagegen kaempft vor allem die junge generation energisch an. in studentenstaedten wie valparaíso liegt ein hauch von revolution in der luft. die akademiker bringen auf der strasse und auf plakaten ihren wunsch nach solidaritaet und emanzipation, gerechtigkeit und naturverbundenheit zum ausdruck. sie wollen eine bessere welt. aber die orte, die ihresgleichen vor imbissbuden oder bei feiern am strand zuruecklassen, gleichen einer muellhalde. bei studentenprotesten werden regelmaessig polizisten mit fetten ziegelsteinen beworfen. und in den brennenden barrikaden findet sich das inventar aus den raeumlichkeiten ihrer unis.

trotz der vermeintlichen unzufriedenheit mit dem eigenen staat ist der patriotismus unter den meisten chilenen fest verankert. landesflaggen schmuecken das ganze jahr haeuser und institutionen. montagmorgens wird in der schule die nationalhymne angestimmt. und auch fuer die medien ist „chile“ ein regelrechter markenbegriff. aber im umgang mit den ganz urspruenglichen wurzeln des chilenischen volks, den eigenen vorfahren, tut man sich schwer. es gibt nur noch wenige indigene chilenen. mit ihnen ringt man um land und ressourcen. und mancherorts finden sich hotels und strassen mit den namen von almagro, pizarro oder valdivia - alles zweifelhafte persoenlichkeiten aus der zeit der spanischen kolonialisierung, die man als stolzer chilene nicht unbedingt verehren muss.


generell lebt die chilenische gesellschaft von ihrer solidaritaet, von beziehungen, netzwerken und familiaerer unterstuetzung. im gefuehl des zusammenhalts gibt man den haendlern auf maerkten oder in metros bescheid, wenn die streife kommt. rabatte bei teuren produkten feilscht man ueber bekannte eines mitarbeiters des geschaefts aus. und freie arbeitsstellen werden ueber etliche ecken an freundesfreunde vermittelt. dieses system hat in chile sogar eine eigene bezeichnung. man nennt den helfenden in solchen faellen „pituto“. doch ist alles immer ganz nah dran an korruption, steuerhinterziehung und dem missbrauch der eigenen position auf kosten anderer. es lebe die solidaritaet. aber nur fuer den allernaechsten…

2 Kommentare:

  1. Und gibt es eigentlich offizielle genossenschaftliche Einrichtungen? Meinst du, das (also die Anbiederung an den freien Markt [ohne jetzt Verschwörungstheorien zu bedienen] wird sich mal ändern? Oder wird es immer auf diesem inoffiziellen korruptionsnahen Pituto stehen bleiben? Wie gesagt, sehr interessant, dein Blog.

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  2. es gibt politische bestrebungen, korruption, illegale absprachen, marktdominanz einzudaemmen. doch besonders der fakt, dass zahlreiche vorfaelle aufgedeckt werden, in den medien vorkommen und entsetzen hervorrufen, politiker zuruecktreten und abgestraft werden, gibt etwas anlass zu vorsichtigem optimismus.

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