europa steht in diesen wochen im zeichen des
terrors. noch viel fragiler ist der politische, soziale oder religioese frieden
auf anderen kontinenten. und auch in chile gibt es ausreichend anlass, mit einem
gefuehl der omnipraesenten ungewissheit zu ringen. erdbeben oder vulkane
bedrohen die bevoelkerung. raub und gewalt verschrecken die menschen. in manchen
stadtvierteln traegt man den dialog bevorzugt mit waffen aus. und nur ganz am
rande steht uebrigens auch chile auf der erorberungskarte des sogenannten is. doch
mehr als diese punktuellen gefahren mag die alltaegliche auseinandersetzung mit
der (drohnenden) armut viele buerger verunsichern. dabei muss sich eine gruppe
der chilenischen gesellschaft ganz
besonders mit ihrer vulnerabilitaet und finanziellen belastung arrangieren: es
sind die alternden menschen.
chile war 1980 das erste land weltweit, das
sein rentensystem privatisierte. im zuge der exzessiv wirtschaftsliberalen dikatur
pinochets legte man die verwaltung der sozialversicherung in die haende des
freien markts. seitdem gibt es die „administradoras de fondos de
pensiones“, kurz afp. das sind gewinnorientierte aktiengesellschaften, die im
auftrag des staats die rentenbeitraege der buerger verwalten. man kann
sich das etwa wie bei einem bankgeschaeft vorstellen. verschiedene anbieter werben
um dich und dein kapital. du ueberweist monatlich ca. 13% deines einkommens auf so
etwas wie ein persoenliches sparbuch. das institut verwaltet das geld fuer
dich und zahlt es spaeter anteilig bei renteneintritt wieder aus.
wer den prinzipien und mechanismen des
kapitalismus` nicht abgeneigt ist, wird die grundidee befuerworten:
verschiedene private unternehmen konkurrieren miteinander. du waehlst die afp
mit den besten vorzuegen fuer dich aus oder wechselst nach belieben den
anbieter. das hebt die leistungsfaehigkeit des systems, steigert die rendite und
senkt die verwaltungskosten. so bewerten es zumindest zahlreiche wirtschaftsexperten.
doch viele chilenen haben da eine ganz andere wahrnehmung. denn es wird kraeftig
gezockt und investiert, angelegt und gehandelt. mit deinem geld, deiner rente,
deiner zukunft. und manchmal kracht es auch.
gegenwaertig gibt es sechs
verwaltungsgesellschaften. geht eine pleite, interveniert der staat. er soll
das private rentensystem kontrollieren und regulieren. die durchschnittliche rente
betraegt in chile zur zeit etwa 750 €. seit den reformen 2008 unter bachelet wird
eine mindestrente in hoehe von etwa 120 € fuer jeden garantiert - egal, ob, wann
oder wie viel er in seinem leben eingezahlt hat. immerhin. andererseits: ich koennte damit
noch nicht einmal die haelfte unserer kaltmiete finanzieren.
doch vielleicht geht es gar nicht mal primaer um
die frage, ob die rente privat oder staatlich verwaltet werden soll. vielmehr sind es
die niedrigen loehne und damit auch mickrigen sozialbeitraege, die die maenner
mit 65 und frauen mit 60 jahren boese erwachen lassen. viele chilenen zahlen
deswegen auch nicht ein, obwohl es pflicht ist. lieber arbeiten sie im
informellen sektor und sorgen selber vor, mit dem kauf eines hauses, mit einem
privaten geschaeft oder mit kindern. was waere die chilenische gesellschaft nur
ohne ihre solidarischen familienbezuege?
armut, naturkatastrophen oder anschlaege - es
gibt viele gruende zur ungewissheit. denn trotz vorsorge und vorsicht, antizipation
und glueck: nichts ist sicher. nicht in chile, nicht in europa und erst recht
nicht anderswo. aber war es das je? am ende bleibt
uns doch vor allem nur eines: das hier und jetzt.
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