Montag, 31. August 2015

aufbruch und stillstand (2/2)



... auch all die unterbrechungen des alltags beeinflussen die produktivitaet und entfaltung des landes. etwa zwei monate besetzten studenten ihre fakultaeten, verbarrikadierten die eingaenge der hochschulen, sperrten strassen mit brennenden blockaden und brachten auf plakaten ihren unmut zum ausdruck. 

"zurueckgewinnung des territoriums für den umsturz - die geografie in aktion"

die bildungsreform geht ihnen viel zu muehselig und halbherzig voran. waehrenddessen zahlten sie wohlgemerkt ihre studiengebuehren von 200, 400, 600 euro pro monat weiter und muessen nun schauen, wie sie die inhalte aufholen. die universidad playa ancha neben unserer wohnung ist uebrigens eine der ganz hartnaeckigen. ein bekannter erzaehlte mir, dass auch er damals in der „upla“ eingeschrieben war. nachdem seine ersten sieben monate studium aber ununterbrochen bestreikt wurden, wechselte er die hochschule.


parallel gingen chiles lehrer fuer mehrere wochen auf die strasse. geplante gesetzesaenderungen widersprechen vollkommen ihren vorstellungen. kurz nachdem sie wieder an den arbeitsplatz zurueckgekehrt waren, protestierten sie aufs neue. denn man zahlte ihnen kaum oder kein gehalt fuer den bestreikten zeitraum. bei den geringen lehrergehaeltern geht das an die existenz. der zoll legte die arbeit nieder und brachte das internationale geschaeft gehoerig in zugzwang. aus dem sueden chiles kamen karawanen von lkw, die die strassen um santiago blockierten. als opfer der indigenen aufstaende in ihrer region fordern sie von der regierung mehr entlastung. vor wenigen tagen streikten valparaísos busse wegen unstimmigkeiten mit der gemeindeverwaltung. und gleichzeitig fiel die metro aus. denn: auch die natur rebellierte. ein heftiges unwetter erfasste weite teile des landes und richtete uebles chaos an. regen, wind und vor allem der ueber zehn meter gestiegene meeresgang verwuesteten die metrostrecke, kappten stromverbindungen, rissen baeume aus. der strand vor unserer haustuer wurde von den wuetenden wellen vollkommen auseinandergebrochen. mein fahrradweg hat nun ploetzlich ein zehn meter langes loch ins niemandsland. doch viel schlimmer: sechs menschen starben, haeuser versanken, fischer verloren mit ihren booten ihr ganzes hab und gut. und wieder einmal geht es fuer viele von vorne los...




es ist so viel bewegung in dieser gesellschaft. der wunsch nach veraenderung, fortschritt und wohlstand scheint foermlich greifbar. chile ist arbeitseifrig und im aufbruch. doch wird der ton nicht von einer motivierten zufriedenheit angegeben. vielmehr herrscht wut auf all die ungerechtigkeit, korruption und falschen versprechungen. diese empoerung der menschen gepaart mit den rhythmischen gewaltausbruechen der chilenischen natur bringen das land regelmaessig zum erliegen. die proteste und blockaden sind dabei eher als das sinnbild einer misere zu verstehen, weniger als eigentlicher grund fuer den haeufigen stillstand. denn der liegt tiefer. in einem system mit vielen baustellen.


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