Sonntag, 23. August 2015

aufbruch und stillstand (1/2)



die organisation fuer wirtschaftliche zusammenarbeit und entwicklung (oecd) brachte vor wenigen wochen einen neuen wirtschaftsbericht zu ihren teilnehmerlaendern raus. dort ist zu lesen, dass der chilenische arbeitnehmer im durchschnitt 1.990 stunden im jahr arbeitet. der deutsche verbringt mit 1.370 stunden etwa ein drittel weniger zeit auf dem arbeitsplatz. heisst: in chile arbeitet man knapp 12 stunden mehr pro woche. und gleichzeitig, so der bericht, ist eine deutsche arbeitsstunde im vergleich zur chilenischen mehr als doppelt so produktiv! in chile arbeitet ein erwaerbstaetiger also deutlich mehr und erwirtschaftet zugleich entschieden weniger als in deutschland. warum ist das wohl so?

nun. der hauptgrund sind sicherlich die grossen unterschiede in der industrialisierung und technisierung. mir faellt das hier auf, wenn ich die maenner mit notizbloecken in der hand an den haltestellen sehe, die dem busfahrer die zeitlichen abstaende zum vorausfahrenden kollegen zurufen und dafuer ein paar pesos zugesteckt bekommen. wenn schalter stets von personen besetzt sind, fast nie automaten den job machen. oder wenn wir all die rechnungen der wohnung gedruckt zugesendet bekommen und die bezahlung per se manuell ausfuehren muessen.  

die arbeitstage sind lang, das gehalt meist sehr mies. sowas drueckt die arbeitsmoral, vielleicht auch die produktivitaet. und weniger geld fuehrt oft auch zu mehr kriminalitaet. vor der man sich schuetzen muss. der sicherheitsapparat muss ein riesiger kostenfaktor in chile sein. all das personal in den laeden, kameraueberwachung, alarmanlagen, nachtwaechter. hierzu eine kleine anekdote: vor kurzem kaufte fernanda fuer die kalten wintertage eine waermflasche. zuhause angekommen, stellte sie fest, dass der verschluss fehlt. ich bot mich an den kauf zu reklamieren, bereitete mich mental auf verbale wortgefechte und administrative huerden vor - denn umtausch ist hier nicht so easy - und fuhr zum supermarkt. dort drueckte mir die haendlerin sofort den deckel in die hand, noch bevor ich ueberhaupt zu ende sagen konnte, was mein problem mit der waermflasche sei. solche gegenstaende wuerden generell von den produkten entfernt, sagte sie, und erst nach kauf an einer separaten kasse ausgegeben. sonst klaue man es bloss. ich stockte und fragte mich, was das fuer ein mehraufwand in organisation und personal bedeuten muss.

manchmal mag auch die kultur der unverbindlichkeit einen teil dazu beitragen, dass arbeitsvorgaenge langsamer vorangehen und sich vorhaben verlaufen. diesen eindruck gewinne ich zumindest bei meiner jobsuche. „ich ruf dich nachher zurueck“, „das angebot schick ich dir gleich per mail zu“, „ich kann dich gut fuer ein neues, spannendes projekt gebrauchen“. nicht selten sind das sehr leere worthuelsen. nichts passiert. weil anderes passiert...

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