Samstag, 12. September 2015

ueber grenzen (1/2)



zwischen den nachrichten zu den vielen autodiebstaehlen in santiago, den gerichtlichen prozessen korrupter politiker und den naechsten eskapaden des fussballstars vidal berichten die chilenischen sender hier und da auch von der voelkerwanderung, die sich gerade in europa zuspitzt. die reportagen gehen sehr sparsam mit hintergrundinformationen oder zahlen um, konzentrieren sich eher auf emotionen, harte oder anruehrende szenen begleitet von herzzerreissenden schicksalsmelodien. vor kurzem fuhr mich die metro durch santiago, als  ich auf den installierten bildschirmen ein haus in flammen sah. die ueberschrift lautete: „brennende fluechtlingsheime in deutschland“. am liebsten waere ich sofort vom erdboden verschluckt worden. gluecklicherweise ist das nicht das dominierende bild, das deutschland in seinem umgang mit asylsuchenden abgibt und in chile vermittelt wird.

800.000 fluechtlinge erwartet deutschland fuer dieses jahr. in chile sind es 4.600 - in den vergangenen 10 jahren zusammen! aktuell leben hier 1.750 menschen mit anerkanntem fluechtlingsstatus. die tendenz ist zwar steigend, in diesem jahr nahm man bereits gut 300 schutzsuchende auf und auch sollen sich in den kommenden tagen die tueren fuer 150 syrische fluechtlinge oeffnen. nichtsdestotrotz bewegt sich in chile der einfluss von migration und flucht auf die gesellschaft in ganz anderen dimensionen als in deutschland.

vor gut einer woche nahm ich an der siebzehnten „jornada migratoria“, der jaehrlichen migrationstagung im herzen der hauptsstadt teil. in kleiner gesellschaft mit hohen wuerdetraegern traf man sich in den opulenten raeumlichkeiten des senats. in erster linie ging es hier um die reformierung eines neuen migrationsgesetzes, um visumsprobleme und arbeitserlaubnisse, buerokratische huerden und diskriminierung. themen wie sprache und kultur, religion oder krieg spielten dabei ueberhaupt keine rolle. hier wurde mir der kontrast zur europaeischen realitaet ganz besonders bewusst. der auslaenderanteil in deutschland lag bis vor kurzem bei etwa 9%. in chile sind gerade einmal 2,6% der bevoelkerung einwanderer. der ueberwiegende teil von ihnen kommt aus suedamerika und spricht die gleiche sprache. dass sich chile nur bedingt mit gesellschaftlicher vermischung, mit internationalen kulturunterschieden oder gar mit fluchtursachen auseinandersetzen muss, ist wohl vor allem auf seine abgeschiedene geografische lage zurueckzufuehren.

diese relative homogenitaet stellt den vermeintlichen fremden in chile umso mehr in den fokus. werbetexte von bank oder fitness-studio sprechen ausschliesslich den chilenen an. der blonde ist hier „gringo“, der asiate „chino“, der zentralamerikaner „un negro“. laufe ich durch die strassen, ziehe ich oft neugierige blicke auf mich. und ab und an begruesst mich ein aus der ferne gerufenes „hello my friend“. „how are you?“ ich begegnete dem vormals mit humor und einem schmunzeln. denn ist es nicht abwertend gemeint. peruaner oder bolivianer erfahren da schon viel eher rassismus. doch beginnt mich mehr und mehr diese subtile, unreflektierte form der abgrenzung zu stoeren. denn oft werde ich als tourist wahrgenommen, als person, die zu besuch ist, zuschaut, spass haben will, bald wieder geht. eben kein teil der gesellschaft ist oder werden will. und das macht echte integration beschwerlich...

2 Kommentare:

  1. Lieber Moritz,
    wie immer genieße ich deine beobachtungen, kommentare, eindrücke, fotos, ... !
    aber zum thema "einwanderer" in chile würde ich gerne etwas ergänzen. hier ist sicher entscheidend, welchen zeitraum man betrachtet. die 2,6% sind dann sicher die zurzeit "ausländer" in chile.
    andererseits sind auf längeren zeitraum betrachtet fast alle chilenen "einwanderer" oder menschen mit migrationshintergrund. die urbevölkerung der mapuche macht (anders als in bolivien, ecuador, perú) nur noch etwa 5% der bevölkerung aus. und dies war eine durchaus sehr gewalttätige dezimierung über jahrhunderte, da sich die mapuche stärker wehrten als andere indigenas.
    ok, als deutscher in chile ist es sicher ein problem, als gleichwertiger teil der gesellschaft akzeptiert zu werden. aber die "vorurteile" gegenüber den deutschen sind ja eher positiv (fleißig, pünktlich, ordentlich, gut organisiert, ...).
    der eigentliche innergesellschaftliche rassismus (und so muss man es nennen) richtet sich gegen die mapuche, denen ursprünglich mal das land "gehörte". aber wem "gehört" das land? niemandem außer der mutter erde ...
    liebe grüße
    martin

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  2. lieber martin,
    vielen dank dir fuer dein kommentar. ich gebe dir vollkommen recht. wer als auslaender gilt, haengt, besonders in suedamerika, sehr von der zeit ab, von der wir sprechen. abgesehen von den mapuche ist die eigentliche urbevoelkerung chiles kaum noch existent und wird quasi von nachfahren der einst eingewanderten diskriminiert. wobei hier festzustellen ist, dass sich eine art kult, eine wertschaetzung des indigenen etabliert hat, zumindest unter der juengeren bevoelkerung und in valparaíso.

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